Abschied vom Herzensprojekt, rotes Gold, neues Leben
Koppert & Ribbat über ihre Hofladenschließung und Betriebsverkleinerung
Frage: Nach 32 Jahren habt ihr im Herbst 2022 den Hofladen eurer Gärtnerei geschlossen. Deshalb vor allem anderen: Wo kann man inzwischen euer Gemüse und Obst bekommen?
Koppert und Ribbat (unisono): Wir haben unsere langjährigen Handelsbeziehungen zu Dirks Biokiste und dem regionalen Großhändler Hakopaxan beibehalten und beliefern weiterhin einige Naturkostmärkte hier in der Gegend.
Frage: Als einzige Bioland-Gärtnerei in Heidelberg und Umgebung wart ihr eine Institution, jedenfalls bei Leuten, die Produkte aus echtem ökologischen Anbau wollen.
Ribbat: Ja, das zeigte sich auch bei der Hofladenschließung. Wir haben noch nie so viel Wertschätzung und Dankbarkeit erfahren. Das war für uns ein großes Geschenk.
Frage: Direktvermarktung und die Versorgung vor Ort mit ganz unterschiedlichem frischem Gemüse waren der Kern eures Betriebskonzepts und nicht nur das: Es war Herzenssache. Habt ihr angesichts der Reaktionen eurer Kundschaft nicht Lust bekommen, einfach weiterzumachen?
Koppert und Ribbat (wie aus einem Mund): Nein.
Frage: So einig habe ich euch selten erlebt. Ihr seid damit offenbar durch. In eurer Mitteilung an eure Kundinnen und Kunden schreibt ihr: „Es fehlt schon jetzt an kostendeckenden Preisen für Gemüse.“ Das wundert mich ehrlich gesagt, die Preise steigen doch gerade wie verrückt.
Koppert: Ja, die Verbraucherpreise steigen, aber nicht unsere Erzeugerpreise. (Sie zieht alte Lieferscheine aus einem Stapel heraus.) Nur so als Beispiel: Im Oktober 2012 erzielten wir für 1 kg Lauch 1,50 €, im Oktober 2017 waren es 1,60 €, im Oktober 2022 ebenfalls 1,60 € (Blättern im Papierstapel). Ein anderes Beispiel: Für Fenchel gab es vom Großhandel 2012 1,45 €, fünf Jahre später 1,70 € und 2022 1,60 €. Oder Sellerie: 2012 gab es 1,05 €, 2017 1,13 € und 2022 1,30 €. Also innerhalb von zehn Jahren keine oder kaum Preissteigerungen.
Ribbat: Das Corona-Jahr 2020 war das absolut beste, das wir je hatten. Die Leute waren zu Hause, haben gekocht, und bei uns standen sie „Schlange im Grünen“. Seither gehen die Umsätze überall im Bio-Fachhandel stark zurück, nicht nur bei uns. Die Leute haben wieder andere Prioritäten, Urlaubsreisen z. B. Bei uns in der Gegend war 2022 von Mai bis September Urlaubszeit, also während der Haupternte- und damit Hauptangebotszeit. Das war schon krass.
Frage: Manche haben vielleicht auch weniger Geld zur Verfügung.
Koppert: Vielleicht. Aber der allgemein herrschende Lebensstil und unsere Arbeit passen schon lange nicht mehr zusammen, auch wenn überall regionaler Anbau und regionale Vermarktung propagiert werden. „Regional und ökologisch“ funktioniert nur in einer Nische, und diese Nische wird immer kleiner.
Frage: Ehrlich, selbst die Lebensmittel-Discounter bieten inzwischen Bio-Produkte an. Das heißt doch, die Nachfrage ist da. Das ist doch keine Nische mehr?
Koppert: Ja, aber der springende Punkt sind die Preise! Unser Preisniveau orientiert sich an dem der internationalen Großproduktion. Schlangengurkenpreise werden in Holland festgelegt, die Holländer lassen in Spanien produzieren. Die bedenklichen sozialen und ökologischen Umstände sind bekannt. Die Discounter arbeiten mit großen, hochspezialisierten Gemüsebaubetrieben zusammen, die trotz hoher Arbeitseffizienz einem extremen Preisdruck unterliegen. Regionale, breit aufgestellte Biogärtnereien haben in dieser Vermarktungskette keine Chance.
Das Bedürfnis der Menschen, möglichst günstig Lebensmittel einzukaufen, führt dazu, dass selbst in Biofachmärkten wieder verstärkt Produkte aus Südeuropa angeboten werden. Diese Naturkostfachmärkte leiden aktuell trotzdem unter starken Umsatzrückgängen.
Frage: Wenn ich das richtig verstehe, hat euch selbst der enorm große Zuspruch während der Corona-Pandemie nicht geholfen. Einfach weil das Preisniveau immer weniger zu eurem Aufwand passt.
Ribbat: Genau. Wir haben schon immer extrem viel gearbeitet. Aber seit drei Jahren arbeiten wir nur noch.
Koppert: Werktags, samstags, sonntags, von früh morgens bis in die Nacht. Im Sommer hat uns ein befreundetes Paar zum Essen eingeladen. Sie haben für uns ganz wunderbar gekocht. Wir sind beinah am Tisch eingenickt und mussten erst mal eine Runde schlafen, bevor wir überhaupt wieder nach Hause fahren konnten.
Das muss aufhören, wir wollen ein anderes Leben. Ich will nicht mehr jeden Morgen vom ersten Moment an wissen, die Zeit läuft gegen mich. Dass das Notwendige überhaupt nicht zu schaffen ist. Die Hofladenschließung hat uns schon eine spürbare Entlastung gebracht.
Frage: Euer Betrieb ist fachlich sehr anerkannt, ihr macht Führungen mit Interessierten aus aller Welt. Elf Menschen haben bei euch die Gartenbau-Ausbildung absolviert, so erfolgreich, dass sie die besten Abschlüsse machten, auch als Meister. Eure Angestellten hatten im Gegensatz zu euch geregelte Arbeitszeiten, ihr bietet von daher gute Arbeitsplätze. Warum stellt ihr nicht mehr Leute ein?
Koppert: Weil sie uns keine Hilfe sind. Wir haben in den letzten Jahren eingearbeitete Stammkräfte verloren: Eine Gärtnergesellin zog mit ihrem Baby mehr in die Nähe ihrer Eltern, eine exzellente polnische Mitarbeiterin, die zwölf Jahre bei uns war, wechselte in einen Betrieb mit Landsleuten, mein Vater, der, seit er in Rente war, immer mithalf, verstarb vor sechs Jahren, sein Freund, ein Schlosser, der bei uns alles repariert hat, ist ebenfalls verstorben, meine hoch engagierte Mutter ist inzwischen betagt … Diese Verluste konnten wir mit den übrig gebliebenen Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern nicht ausgleichen, obwohl sie sich nach Kräften eingesetzt und obwohl wir den Anbau zuletzt reduziert haben.
Ribbat: Dabei hatten wir unzählige Bewerbungen, besonders im ersten Corona-Jahr. Leute aus der Gastronomie, Musiker, Studentinnen, nicht wenige mit besten akademischen Abschlüssen. Ständig absolvierte jemand eine Schnupperwoche. Hängen geblieben ist letztlich niemand, obwohl wir immer wieder hören, dass manche bei uns wertvolle Einblicke gewonnen haben (lacht).
Koppert: Zum Beispiel die Radieschen erntenden Physikstudenten – was waren sie stolz auf ihre Schubkarre voller „rotem Gold“. Die Radieschen bekamen durchs Ernten für sie einen ungeahnten Glanz. Nicht dass wir damit viel verdient hätten.
Der gärtnerische Beruf ist im Niedergang, in ganz Deutschland gibt es gerade noch etwa 400 Auszubildende im Gemüsebau.
Frage: Wie machen das denn andere Gärtnereien? Die haben doch Arbeitskräfte.
Koppert: Diese Betriebe bauen nicht wie wir achtzig unterschiedliche Kulturen bzw. Gemüsesorten an, sondern eine oder vielleicht zwei, drei. Was irgend geht, wird maschinell bewältigt. Wo das nicht möglich ist, werden die Handgriffe simplifiziert, getaktet und im Akkord ausgeführt – von einer Kolonne ArbeiterInnen aus Rumänien, Moldawien, Bulgarien, von den Ärmsten der Armen in Europa. Vorarbeiter ist meistens auch jemand aus diesen Ländern. Die Leute arbeiten oft gut.
Ribbat: Bei unserem Vielerlei funktioniert dieses Modell nicht, es entspricht auch nicht unserer Vorstellung. Wir brauchen Fachkräfte, die sind nicht zu kriegen, und wenn wir sie hätten, könnten wir sie nicht bezahlen mit den Einnahmen, die wir erzielen, und den drastisch steigenden Ausgaben für Energie, Jungpflanzen und andere Betriebsmittel.
Koppert: Und Lohnkosten. Ich gönne Leuten, die bei uns jobben, die 12 € Mindestlohn. Allerdings steht das, was sie leisten, rechnerisch selten in einem Verhältnis dazu, zumal die meisten nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen zur effizienten Handarbeit mitbringen. Beides ist nicht mehr gegeben.
Frage: Das Resümee könnte also lauten: Gegenwart und Zukunft des Gartenbaus gehören der Kombination Chefs, Maschinen und im Akkord tätige Hilfsarbeitskolonnen, von Armut dazu gezwungen, diese Arbeit anzunehmen. Betriebe wie eurer sind ein Auslaufmodell. Die gärtnerische Arbeit wird zur niedrigsten Arbeit.
Ribbat: Das muss man so sehen. Außerdem gehört die Zukunft nicht der ackerfrischen Ernte, sondern Convenience-Produkten und Frostware. Frostware gilt als das Nachhaltigste überhaupt.
Frage: Es gibt ja Gegenbewegungen. In der kleinen früheren Gärtnerei unserer Eltern hat sich die Solawi „Gemüsekultur Heidelberg“ angesiedelt. Die jungen Leute bauen nach den Prinzipien der Solidarischen Landwirtschaft an, fast ohne Maschinen.
Koppert: Ja, das finde ich gut. Aber für uns ist das keine Alternative. Wir werden unseren Anbau radikal herunterfahren und Kulturen, die inzwischen durch den Klimawandel problematisch geworden sind, aufgeben. Wir verabschieden uns jetzt von unserem lange Jahre gelebten Traum: unserer Vorstellung von ökologischem Anbau als Inbegriff von Vielfalt und Qualität.
Frage: In eurer Kundenmitteilung schreibt ihr von erheblichen Ernteausfällen und Missernten. Das finde ich beunruhigend. Was passiert denn da? In Heidelberg war’s doch jeher verhältnismäßig warm, das war ein gärtnerischer Vorteil.
Koppert: Nehmen wir Salate, eine unserer Hauptkulturen fast übers ganze Jahr: Salate gedeihen gut bei 20° C. Ab 25° haben die Pflanzen erste Stresserscheinungen, ab 30° leiden sie unter Hitzestress, in langen Hitzeperioden unter Dauerstress. In den letzten Sommern hatten wir oft wochenlang Temperaturen von 30° C und mehr. Dazu kam die Trockenheit. Salate wachsen bei 70 Prozent Luftfeuchtigkeit gut, aber nicht bei 30 Prozent wie in diesem Jahr. Das Niederschlagsmuster hat sich völlig verschoben. Hitze und Trockenheit machen die Salate anfällig für Pilze und tierische Schädlinge, wie z. B. am Blatt saugende Thripse und Blattläuse. Beide übertragen durch ihre Saugaktivitäten Viruserkrankungen. Als ökologisch erzeugender Betrieb haben wir gegen den Befall keine Mittel, wir spritzen – aus guten Gründen – weder Fungizide noch Insektizide. Das Ergebnis: Uns sterben immer größere Mengen Salate ab, bevor sie erntefähig sind.
Ribbat: Wir werden von Juni bis September keine Salate mehr anbauen. Zu riskant, zu teuer. Es sind nicht nur die Salate, die durch die Hitze leiden. Der Pollen der Tomatenblüte vertrocknet ab 28° C. Wir hatten dadurch in diesem Sommer Befruchtungsschäden bei Tomaten und Auberginen, riesig viel Laub, aber kaum Früchte an den Pflanzen.
Koppert: Im ökologischen Anbau spielt ein aktives, gesundes Bodenleben die Hauptrolle, damit arbeiten wir. In den langen Hitzeperioden heizt sich unser Oberboden bis 70° C auf. Durch die schnelle Verdunstung stirbt das Bodenleben ab. Es gibt dann überhaupt keine Regenwürmer mehr. Unser Lösslehmboden lässt sich mit dem Spaten nicht mehr öffnen. Der Boden ist wie Stein. Für die Pflanzenwurzeln ist das absoluter Stress.
Frage: Aber ihr habt doch Bewässerungsanlagen?
Ribbat: Selbstverständlich. Bei uns hat es von April bis August fast nicht geregnet. Ständig mussten wir wässern, nicht nur in den Gewächshäusern, auch im Freiland. In Hitzeperioden machen wir das am Abend, statt Feierabend.
Koppert: Der Arbeitsaufwand bis in die Nacht, außerdem bekommt Wässern in dieser Intensität den Pflanzen nicht gut. Dazu irgendwelcher Irrsinn …
Ribbat: Jeden Abend Regnerdüsen verstopft, weil seit einigen Jahren schwarze Solitärwespen oder -bienen sie für ihre Eiablage nutzen.
Koppert: Das Insekt legt seine Eier in die Düse, stopft sie mit Distel- und Laubstückchen zu und mit Grashüpfern, das ist die Nahrung für die Larven nach dem Schlüpfen. Erst nach 24 Stunden beendet das Insekt seine Arbeit an dem Eiablageplatz. Mir tut das leid, aber wir müssen das Ganze mit einem Draht herausstochern.
Ribbat: Was regelmäßig nicht funktioniert, dann heißt es, den Regner auseinanderbauen. Das kostet jedes Mal eine halbe Stunde.
Frage: Ich kann’s mir vorstellen, Wasser abdrehen, auf dem Acker herumlaufen, nassen Lehm an den Schuhen, selbst beregnet werden …
Koppert: Durch die Klimaveränderung gibt’s nicht nur mehr, sondern auch neue Schädlinge. Der Baumwollkapselwurm verursacht krasse Ausfälle, die Kirsch-Essigfliege (Drosophila suzukii) ebenfalls – wegen der machen wir kein Obst mehr. Himbeeren, Erdbeeren, Johannisbeeren, Brombeeren, die sticht die Früchte an, sie faulen. Beerenobst geht nur noch mit Schutznetzen. Bisher selbstverständliche Kulturen sind plötzlich ein Problem.
Frage: Da kommt ohne Zweifel etwas auf uns zu, von dem wir noch gar nicht wissen, wie es unsere Konsum- und Lebenswelt verändert.
Koppert: Wir werden ganz neue Anbaukonzepte entwickeln müssen.
Frage: Werdet ihr euch damit beschäftigen? Ihr geht ja jetzt sozusagen in Altersteilzeit. Welche Ziele habt ihr noch mit eurem Betrieb?
Ribbat: Mein großer Wunsch ist, ausruhen und endlich auch Zeit für ein Privatleben. Dass uns die Gärtnerei nicht Tag und Nacht im Nacken sitzt.
Koppert: Wir müssen ausprobieren, was uns zu zweit noch möglich ist. Auf jeden Fall will ich nicht mehr diesen totalen Stress. Ich freue mich auf mehr Freiheit und habe keine großen Erwartungen. Ein schönes Erscheinungsbild auf kleinem Raum – dass unsere wenigen Kulturen gut gedeihen und ordentlich gepflegt sind. Damit wäre ich voll zufrieden.
Zur Geschichte der Gärtnerei Wiesenäcker lesen Sie hier zwei frühere Gespräche mit Koppert & Ribbat: „Biografisches, Traditionen, Bio-Boom“ und „25 Jahre Gärtnerei Wiesenäcker: Spezialisiert auf Vielfalt und Qualität“
Die Fragen bei allen drei Gesprächen stellte Claudia Koppert – mehr über sie finden Sie hier